Donnerstag, 7. März 2013

Wo es ein Vorteil ist, ein Türke zu sein!

Neulich saß ich in Huamanga in einem der zahlreichen Biergärten und musste an Deutschland denken. In fast 3000 Metern Höhe kam es einfach über mich. Alles Mögliche schoss mir so durch den Kopf: der Streit innerhalb der Koalition, die deutsche Nationalmannschaft mit ihrem Torwartproblem oder die miserable Model-Show der Heidi Klum. Bei einem Gedanken bin ich allerdings länger hängengeblieben:

Welche Vorteile bringt es eigentlich mit sich, ein Türke in Deutschland zu sein?

Na ja, nach fast fünfzigjähriger Einwanderungsgeschichte kann man ja mal so eine Frage stellen. Ehrlich gesagt fand ich zwei Bier später immer noch keine Antwort. Die nackten Tatsachen kamen mir sehr traurig vor.

Eine hohe Arbeitslosigkeit, weniger Schulabschlüsse, höhere Kriminalitätsraten, Ghettobildung, Ehrenmorde, Zwangsheirat, Kopftuch sowie eine zum großen Teil ziemlich beschränkte Beherrschung der deutschen Sprache. Vielleicht sollte man außerdem als Türke nicht gerade in die neuen Bundesländer fahren. Denn so ein Schwarzkopf mit dickem Schnurbart lebt manchmal gefährlich in diesen Gegenden.

Drei Bier später fielen mir dann aber doch zwei Vorteile ein (man muss wissen, dass in den höheren Lagen unseres Planeten der Verträglichkeitsquotient von Alkohol sich nahezu potenziert).

Zum einen kann man sich einen guten Arbeitsplatz schaffen, wenn man das Zeug dazu hat, Landes- oder Bundesfördermittel zu ergattern, die etwas mit dem Thema Integration zu tun haben. Ich kenne viele sogenannte türkische Migranten, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als Anträge für neue Projekte zu schreiben. Das kommt im bundesdeutschen Mainstream immer gut an. Noch besser wäre es, Integration mit Gender und Antidiskriminierung in jeglicher Form zu verbinden. Das ist ein totsicherer Tip. Und falls das Projekt ausläuft, wird eben der nächste Antrag geschrieben. Ok, diese Projekte tragen nicht gerade dazu bei, dass es mit der Integration vorangeht, doch dienen sie immerhin dazu, einige türkische Berufsmigranten von den Job-Centern fernzuhalten.

Der zweite Vorteil betrifft die Politik. Es gilt in den meisten Parteien als schick, sich mehrere Politiker in ihren Reihen zu halten, die einen Migrationshintergrund vorweisen können. Da der größte Migrantenanteil von den Türken gestellt wird, sitzen auch meistens Türken in den deutschen Parlamenten. Ob der eine oder andere auch dort sitzen würde, wenn es nur nach Qualitätskriterien ginge, sei mal dahingestellt. Nun, Politiker sind zwar wie Hartz-IV-Empfänger Leistungsempfänger, zumindest quantitativ jedoch auf einer anderen Ebene.

Und in Peru?

In dem schönen Land Peru sieht es ganz anders aus.

Die ersten zwei Monate gab ich mich korrekt als Deutscher aus, in dem naiven Glauben, dass ich im Gegensatz zu einem US-Amerikaner nicht als Hard-Cover-Gringo angesehen werde. Gringos sind nämlich nicht nur US-Amerikaner wie ich vor vielen Jahren dazulernte, sondern auch alle Europäer und anderen Bleichgesichter dieses Globus’.

Man sollte als Gringo immer ein wenig auf der Hut sein. Man zahlt oft einen Gringo-Preis für bestimmte Dienstleistungen oder Waren, der durch die Naivität einiger Touristen das Mehrfache des eigentlichen Preises übersteigen kann (das ist natürlich kein lateinamerikanisches Phänomen). Bei der Suche nach einer Wohnung in Huamanga, waren wir Gott sei Dank so vorausschauend, einen peruanischen Strohmann vorzuschicken. Gringos sind in Lateinamerika auch nicht immer gern gesehen. Es kommt ab und zu vor, dass man unfreundlich behandelt wird. Wer sich mit der Geschichte des Kontinents etwas näher befasst, kann so eine Einstellung sicherlich nachvollziehen.

Außerdem glauben viele Peruaner, dass Gringos eine Menge Geld in der Tasche hätten. Diese könnten es obendrein à la „Bayerischer Landesbank“ unbedarft ausgeben. Versuchen Sie einmal, die Leute von der Tatsache zu überzeugen, ebenfalls nur ein armer Schlucker zu sein. Zum Beispiel durch das Argument, in Peru oder Lateinamerika zu leben, weil man sich im teuren Westen die Miete oder das Essen nicht mehr leisten kann. Heerscharen von US-Amerikanern sichern sich so ihren Lebensabend (Deutsche in der Türkei).

Oft versuchte ich, den Leuten zu erklären, dass es auch Armut in Deutschland gebe. Das Ergebnis war jedes Mal dasselbe: großes Gelächter. Nun gut, ich schien mich also damit abgefunden zu haben, mit virtuellen Goldkettchen und Kreditkarten durch die peruanischen Straßen zu laufen sowie eine Atmosphäre des absoluten materiellen Überflusses zu verbreiten, bis ein Zufall mich aus dieser manchmal unangenehmen Situation befreite.

Eines Tages stand ich auf dem Zentralplatz von Huamanga vor einem Straßenhändler, der Uhren verkaufte. Ich wollte mir eine Billigstopuhr für meine Jogging-Touren kaufen. Der Händler behandelte mich so wie man einen Gringo typischerweise behandelt: lethargisch und Kohle her, ansonsten schleich Dich (natürlich sind nicht alle Peruaner so). Das heisst im Klartext, dass auf meine Frage, wie teuer die Uhren denn seien, kurze und knappe Antworten über den Preis gefallen waren. Selbstverständlich überteuert.

Als mich eines der vielen Kinder in gebrochenem Englisch mit „Hello, where come from“ ansprach, schaute ich zufälligerweise weg und was sah ich dann? An einem Zeitungsstand hing eine Zeitschrift aus, auf deren Titelseite die Blaue Mosche in Istanbul abgedruckt war. Ich entgegnete dem Kind spontan:

„Ben Istanbuldan geliyorum. Istanbul Türkiyede buluniyor. Taniyormusun? (Ich komme aus Istanbul. Istanbul liegt in der Türkei. Kennst du es?)“.

Das Kind hatte die Sprache natürlich nie gehört und war auf einmal ganz still. Der Händler fragte mich darauf interessiert, woher ich komme. Ich antwortete ihm, aus Istanbul.

Sie hätten einmal den Stimmungswandel von ihm erleben müssen. Plötzlich tauchte ein Lächeln auf seinem Gesicht auf. Er erzählte mir begeistert, dass er neulich in der spanischen Ausgabe der National Geographic einen großen Artikel über Istanbul gelesen hätte. Danach fragte er mich tausend Löcher in den Bauch, über die Stadt, aber auch über die Türkei. Er würde sich so sehr wünschen, einmal dorthin zu fahren. Man kann sich sicherlich vorstellen, dass ich nach all meinen Erfahrungen als „Germane“ ein wenig perplex war.

Ich musste ihm Rede und Antwort stehen und nach dieser zwanzigminütigen Quizshow überließ er mir die Stopuhr sogar zu einem fairen Preis. Nach zahlreichen Verabschiedungsfloskeln ging ich ins nächste Café. Am liebsten hätte ich mir einen türkischen Mokka gegönnt, aber es blieb dann doch bei einem „Cafe Americano“.

War das jetzt ein Zufall? Oder hatte ich gerade so eine Art Relativitätstheorie der Gringoabschüttelungstaktik entdeckt, zumal ich ja noch nicht einmal so richtig gelogen hatte? Und mein Wuschelkopf ist auch in Peru fast einzigartig, so dass er meinen Aussagen nochmals Kraft und Ausdruck verlieh (dass es nur selten Wuschelköpfe in der Türkei gibt, spielt mal jetzt keine Rolle).

Die nächste Gelegenheit ergab sich bei einem Taxifahrer, der sich danach erkundigte, woher ich käme. Ich teilte ihm mit, dass ich aus Istanbul stamme. Wow. Genau dasselbe. Gäbe es große Unterschiede zwischen Peru und der Türkei? Wie sei das Leben dort? Wo arbeite ich? Wann fliege ich das nächste Mal zurück? Habe ich Kinder? Wo seien sie? Ihr hättet doch diesen Fleischspieß, wie hieße er, etc. etc.? Äh...das war jetzt das zweite Mal....

Um es kurz zu machen: ähnliche Situationen habe ich mal mehr, mal weniger intensiv im ganzen Land nun erlebt. Die Krämersfrau an der Ecke, der Cocktailmixer hinter der Bar oder die Kids auf der Straße. Ich antworte ihnen einfach nur noch auf türkisch und frage auf spanisch, ob sie wissen, was ich da gerade geredet habe. Und sie sind immer ganz aus dem Häuschen, wenn ich ihnen erzähle, dass die heilige Maria und der Nikolaus aus der Türkei stammen sowie die heilige Stadt Jerusalem sich in der Nähe befindet. Das Ergebnis ist, dass ich in den meisten Fällen für sie kein Gringo mehr bin. Eine Wohltat, kann ich nur sagen. Es macht das Leben in Peru und Lateinamerika einfacher, unkomplizierter und es schont in vielen Fällen den Geldbeutel. Albert Einstein wäre stolz auf mich gewesen.

Die nächste Reise nach Berlin und Istanbul steht im Sommer dieses Jahres an. Auf dem Rückflug nach Lima werde ich eine Staffage an türkischen Utensilien mitnehmen: türkisches Nationaltrikot, Trikot des Istanbuler Fußballvereins Galatasaray, eine Baseballmütze mit dem Halbmond, Gözboncuk (eine Art Talisman) und so weiter und so fort.

Als Türke gelte ich im Andenland als Exot und bin sehr oft in der Wahrnehmung kein Gringo. Meine deutschen Kollegen beneiden mich dafür. Mal sehen wie es in Deutschand dann wieder aussieht!

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